Praxisprojekt von Anna Akaltin im Rahmen des Masterstudiengangs Kunstwissenschaften.
Eine Aktionswoche zum Thema (Un-)Vereinbarkeit von Kunstschaffen und Care-Arbeit.
Mit (what it means to both) CARE & CREATE hat in Halle (Saale) vom 4.-8. Oktober 2021 ein kuratorisches Modellprojekt in Form einer Aktionswoche zum Thema (Un-)Vereinbarkeit von Kunstschaffen und Care-Arbeit stattgefunden.
Der Kunstbetrieb stellt, ob im Ausbildungs- oder im professionellen Bereich, in Bezug auf die Benachteiligung von Personen mit Care-Verpflichtung (nach wie vor: überwiegend Frauen*) keine Ausnahme dar. Als sorgearbeitende Student*innen, Künstler*innen und Gestalter*innen stehen sie im institutionellen wie gesellschaftlichen Abseits. Sie tragen ein erhöhtes Risiko, was ihre psychische Gesundheit oder ihre finanzielle Absicherung anbelangt – im Kunstbetrieb liegt der Gender Pay Gap z.T. bei 47,6%*, zu erklären durch einen gesamtgesellschaftlichen Gender Care Gap von 52,4%** (wer mehr Zeit für Sorgearbeit aufwendet, kann weniger für Erwerbstätigkeit aufbringen) sowie das sich hartnäckig haltende sexistische Stereotyp, (v.a. sorgearbeitende) Frauen* würden vermeintlich schlechtere Kunst machen als ihre (alleinstehenden) männlichen Kollegen.
Auch in ihrer Teilhabe sind sie wesentlich limitierter (sowohl was die Teilnahme an universitären Angeboten, als später auch das Wahrnehmen-Können von Stipendien oder Residencies anbelangt). Sie sind generell weniger sichtbar: ob im Forschungs-, im Ausstellungs- oder im Lehrbetrieb.
Um diesem entmutigenden Szenario etwas entgegen zu setzen, habe ich, angelehnt an Sascia Bailers visionäre Arbeit auf diesem Terrain, versucht, meine Rolle als Kuratorin dieser Aktionswoche v.a. als fürsorgende Rolle zu begreifen, d.h., vom klassischen Verständnis eines (männlich gedachten) Kurators, der sich als Subjekt um eine Sammlung von Objekten kümmert, wegzukommen und sich einer konkret in die Gesellschaft eingreifenden, transformatorisch wirkenden Praxis zuzuwenden. Somit bestand mein Programm nur z.T. aus Formaten des Wissenstransfers (mit dem Ziel der Ermöglichung einer solidarischen Perspektivübernahme) – so z.B. im Rahmen eines Artist/Curatorial Talks mit der Medienkünstlerin Hannah Cooke und der Kuratorin/Theoretikerin Sascia Bailer, eines Screenings der Arbeit "Care Affair" des feministischen Performance-Kollektivs Frauen und Fiktion oder einer Audio-Collage der Radiokünstlerin Elisabeth Rändel, welche Stimmen sorgetragender Künstler*innen und Gestalter*innen aus dem Hallenser Mikrokosmos vereint.
Im Fokus meiner Aktionswoche standen aber v.a. fürsorgende Personen, denen zwei Workshops – einem zum Thema Wut, dem sich mit Methoden der darstellenden Künste, sowie einem zum Thema Vertrauen, dem sich mit Anleihen aus der systemischen Therapie genähert wurde. Fragen wie "Wie lässt sich Mutter*schaft neu denken oder auf welcher Grundlage lassen sich Allianzen zwischen Kunst- und Care-Arbeiter*innen schmieden?", "Welche Rollenverteilung leben wir als Care-Arbeit leistende Person/Künstler*in und welche würden wir gerne (vor)-leben?" oder "Welche (Infra-)Strukturen braucht eine solidarische Zukunft?" standen dabei im Zentrum des gemeinsamen Austausches.
Orte:
vika e.V., Adam-Kuckhoff-Str. 19, 06108 Halle (Saale)
Frauenzentrum Weiberwirtschaft / Dornrosa e.V., Karl-Liebknecht-Str. 34, 06108 Halle (Saale)
Quellen:
* Renee Adams u.a.: "Is gender in the eye of the beholder? Identifying cultural attitudes with art auction prices", University of Oxford, 2017
** https://www.bmfsfj.de/bmfsfj/themen/gleichstellung/gender-care-gap/indikator-fuer-diegleichstellung/ gender-care-gap-ein-indikator-fuer-die-gleichstellung-137294