Im erweiterten Sinn habe ich die Linien- und Rastersysteme als Ordnungssysteme begriffen. Auf den ersten Blick wirken meine Bilder chaotisch, bilden sie doch eine Tätigkeit ab, die alles andere als Chaos produziert. Die Tätigkeit des Wischens, die darauf ausgelegt ist, die Spuren des Alltags, die beim Arbeiten hinterlassen werden, verschwinden zu lassen, werden sichtbar gemacht. Linien, die sich wild ineinander verwischen und ein homogenes Ganzes bilden, die geordnet das Blatt füllen. Eine Bewegung, die im Schwung der Linie zur Blattkante gehalten von einem weißen Rahmen, entsteht, ein Ablauf von Handgriffen abbildend. Von links nach rechts. Vor, zurück. Hin und Her. Wisch, Wasch.
Knapp 700.000 Reinigungskräfte sind in Deutschland beschäftigt – die meist illegal angestellten Putzkräfte in Privathaushalten nicht mit einberechnet. Sie halten Büros, Schulen, Krankenhäuser, Museen, Geschäfte, U-Bahnhöfe, etc. sauber. Die Gebäudereinigung ist die beschäftigungsstärkste Handwerksbranche Deutschlands und gleichzeitig die, die am wenigsten Wertschätzung erfährt. Dabei ist diese unsichtbare Tätigkeit für uns alle so essentiell. Kein öffentlicher Betrieb würde ohne diese wertvolle Arbeit existieren. Doch unser modernes Verständnis vom Menschsein als saubere, hygienische und gesunde Arbeitswesen verlangt eine Distanzierung zum Putzen. Die Menschen an den Arbeitsplätzen wollen oder sollen nicht von augenscheinlich banalen Tätigkeiten, wie Staubsaugen oder Wischen, abgelenkt werden. Und deshalb findet diese Tätigkeit viel zu oft im Verborgenen statt. Abends, wenn der „normale“ Betrieb ruht, oder in den frühen Morgenstunden, bevor der Trubel los geht. Die Reinigungskraft hat ihre*seine Tätigkeit dann zufriedenstellend ausgeführt, wenn sie nicht gesehen wird.
Fast ein Prozent der hallensischen Bevölkerung ist als Reinigungskraft tätig und verdient im Durchschnitt 11,55€ pro Stunde. Auch das Hermes-Gebäude wird jede Woche in dreieinhalb Stunden von unten nach oben gereinigt; auf jeder Etage werden Toiletten geputzt, Mülleimer geleert, Flure gewischt. Wir Studierenden bekommen davon wenig mit und dürfen uns lediglich an der fortbestehenden Sauberkeit erfreuen (wenn sie uns denn auffällt: Ist das Kunst...?).
Eine Linien aus Wasser - Tinte. Vom Papier getragen - Reiht sich neben die andere. Sie verfließt mit ihrer Nachbarin, schwimmt in eine undefinierte Fläche und löst sich aus ihr in die nächste Kurve.
Um einen unmittelbaren Bezug zu unserer Alltäglichkeit herzustellen und die im Schatten stattfindende Tätigkeit zu erleuchten, habe ich begonnen, die Flure mit meiner Farbmischung zu wischen und die Zeichnung in den Raum zu bringen. Ein Stoß an der Heizung. Die Unebenheit der Fliesen. Tinte, die sich in kleinen Pfützen an den Rändern der Fugen sammeln. Die wiederkehrenden Wischbewegungen, die jeden Zentimeter des Bodens füllen. Ein Muster. Schwarz. Weiß. Und das, was sich dazwischen befindet.
Zu früher Morgenstunde treffe ich mich also mit Anke. Sie wischt den Raum mit meiner Farbe, so wie sie immer den Raum wischt und ich mache ihn anschließend in mehreren Schritten wieder sauber. Während sie den Boden in routinierter Bewegung – immer vom Fenster in den Raum hinein, von einem Bein aufs andere wippend – in zehn Minuten durchgewischt hat, brauche ich für meinen Teil eine halbe Stunde. Es ist ein hartes Arbeitspensum, das in wenig Zeit abgearbeitet werden muss und deswegen Routine benötigt. Es ist körperlich anstrengend und braucht darüber hinaus Durchhaltevermögen. Durchhalten, um das Pensum zu erfüllen, um eine sachliche Perspektive auf den Schmutz zu bewahren, sich vor dem Ekel zu schützen, sich nicht entwürdigen zu lassen.
Die Schatten im morgendlichen Aufgehen der Sonne, die einen fenstergerahmten Lichtschein an die Wand wirft. Das Leuchten, das den Raum definiert, der in der Spiegelung des nassen Bodens erscheint. Ein Raum, den Anke jede Woche wischt, damit wir dort zusammenkommen, wir uns über Kunst unterhalten können. Später wird hier die Dokumentation der Performance gezeigt, sodass eine Brücke zwischen dem physischen und sozialen Raum geschlagen wird.
Die Videoarbeiten dokumentieren in drei Teilen meine Wisch-Performances. Teil eins und zwei sind ungekürzt. Um sich in den Bewegungsablauf von Anke hineinversetzen und -denken, ihr auf klarer und poetischer Weise folgen zu können, war es mir vor allem bei Teil II wichtig, den Wischablauf des Raumes in voller Länge zu zeigen. Teil III versucht in gekürzter Form eine neue Spannung aufzubauen, die auf die Tätigkeit von Anke referiert. Als erstes Werkzeug wird ein Besen mit harten Borsten verwendet, um Linien von vorne nach hinten, anschließend von rechts nach links und wieder zurück, zu ziehen. Neben den kurzen Sequenzen, die einen Eindruck der Monotonie vermitteln, stehen die bewusst gesetzten Phasen in denen das Video in normaler Geschwindigkeit abgespielt wird und mischen der monotonen Handlungsabfolge eine Langwierigkeit bei. Mit dem Körper über den Boden zu wischen, ist doch die effektivste Methode gewesen, gleichzeitig auch die unangenehmste und mühevollste – bis letztlich wieder der Wischmopp in die Hand genommen wird und über den Boden die Spuren verwischt.