Wintersemester 2021 • Semesterprojekt • ab 3. Studienjahr und MA Textildesign
Betreuung: Prof. Bettina Göttke-Krogmann, Kristin Nebauer (künstlerische Mitarbeiterin)

Die Jacquardweberei gilt als ein wichtiger Vorläufer der Digitalisierung. Durch das binäre Prinzip der Lochkarte konnte ein komplexes Muster oder Bild in eine mechanische Bewegung und dadurch in ein textiles Bild umgewandelt werden. Dies wiederum war wegweisend für die Automatisierung und Basis der industriellen Revolution. Die Grundlage für die Jacquardmaschine ist die jahrhundertealte Notation der Gewebebindung mit Hilfe von schwarzen und weißen Kästchen auf Gitterpapier, wodurch bestimmt wird, wann welcher Kettfaden über oder unter dem Schussfaden liegt. Die Errungenschaft von Joseph-Marie Jacquard liegt in der Übertragung der Notation der Bindung auf die Lochkarte, die mit „Loch oder kein Loch“ die Maschine steuert und die Zeichnung in das Gewebe transferiert. In diesem Sinne bildet die Jacquardweberei das digitale Erbe der Weberei.*

Dieses binäre Prinzip wurde in verschiedene Richtungen weiterentwickelt, bildet aber immer noch die Grundlage einer jeden Programmierung. Auch die Steuerung der Webstühle findet heute mit Hilfe verschiedener digitaler Programme statt – so hat sich im Prinzip die digitale Steuerung für die Weberei aus der Weberei selber als selbstreferentielles System entwickelt.

Sowohl das Programm als auch der Webstuhl können als Werkzeug zur Stoffherstellung betrachtet werden. Das Ziel des Projektes ist nun, sich mit diesen digitalen und analogen Werkzeugen auseinanderzusetzen: sie zu verändern, zu ergänzen, auszutauschen oder damit zu experimentieren. Es kann neben der Beherrschung des Programms ebenfalls um die Frage gehen, inwiefern das Unbewusste, Spontane, Irrationale und Subjektive eine Rolle in der digitalen Gestaltung spielen kann. Die Methode des generativen Gestaltens in Form des manipulativen Eingreifens in das Jacquardprogramm EAT soll genutzt werden: der Entwurf wird im Programm bearbeitet, analog umgesetzt, analog verändert und wieder ins Digitale zurückgeführt. (z.B. in dem das Muster gewebt wird, dann als Stoff eingescannt, wieder per Hand bearbeitet, wieder gewebt etc.). Diese Prozesse sollen gemeinsam protokolliert werden, um die unterschiedlichen Herangehensweisen zu dokumentieren. Es soll begleitend eine „Betriebsanleitung für das Werkzeug EAT“ angelegt werden.

Es geht nicht darum die Jacquardweberei als Umsetzungsvariante für Muster oder Bilder zu nutzen, sondern sich mit ihrem Prinzip auseinanderzusetzen und sie als Werkzeug für neue Methoden anzusehen. Joseph-Marie Jacquard hat das binäre System und die Lochkarte nicht selber erfunden, sondern hat durch das Zusammenführen von bekannten Technologien den Schritt in die Reproduktion von gewebten Bildern möglich gemacht hat, die zuvor in mühsamer Kleinarbeit vom „Zampeljungen“ ausgelesen wurden. In dem Sinn sollen im Projekt durch neue Kombinationen neue Anmutungen, neue Stoffqualitäten erfunden werden.

* Der Begriff „digital heritage“ bezeichnet normalerweise die Bewahrung des kulturellen Erbes in digitaler Form, u.a. gibt es ein umfangreiches Programm der UN und viele Programme der Digitalisierung von Museumssammlungen, die als „digital heritage“ bezeichnet werden.