Bericht zu einem fachbereichsübergreifenden Blockseminar im Wintersemester 2021/22
Leere Stellen. Wer nach der Geschichte der BURG in der Zeit des Nationalsozialismus fragt, stößt unweigerlich auf leere Stellen. Und dies im mehrfachen Wortsinn: Auf die Stellen derjenigen, die nach der Machtergreifung der Nationalsozialist*innen entlassen wurden und deren fachspezifische Kompetenzen in der „Meisterschule des Deutschen Handwerks“ nicht mehr benötigt wurden. Auf Lücken der Überlieferung im burgeigenen Archiv. Auf fehlende Einträge, wie beispielsweise in unserer Burg-Enzyklopädie. Zwischen „Nanoparticles“ und „Natur der Hypothese“ fehlt „Nationalsozialismus und BURG“. Leere Stellen, die als solche erkannt werden, wollen befragt werden.
Im Nationalsozialismus wurde die BURG von einer reformierten „Staatlich-Städtischen Kunstgewerbeschule“ zu einer „Meisterschule des Deutschen Handwerks“. In der Sprache der Zeit liest sich dies so: „Rückgliederung des Fachschulwesens in geordnete Bahnen und Dienstbarmachung der Schulen dem bodenständigen Handwerk“. Was bedeutet das?
Welche Rolle spielte diese Lehr- und Produktionsstätte des Kunsthandwerks, inwiefern genügten Akteur*innen und Werke den sich wandelnden ästhetischen Normen der NS-Kulturpolitik? Konnten neben den offiziell anerkannten auch andere künstlerische Positionen weiter bestehen? Wie konnte aus Halle, mit einer den Bauhaus-Ideen nahestehenden Kunstgewerbeschule und einem Museum, in dem die klassische Moderne prominent vertreten war, eine Stadt der nationalsozialistischen Bewegung werden? Wie und unter welchen Vorannahmen verlief die bisherige Auseinandersetzung mit der NS-Geschichte der BURG?
Im Seminar haben wir uns anhand von Objekten aus der Sammlung der Hochschule und unterschiedlichen Dokumenten dem Profil der Hochschule angenähert. Jeden Tag hatte einen anderen Schwerpunkt. Es ging um pädagogische Konzepte, die das Verhältnis von „Meistern“ und „Schülern“ prägten. Wie werden diese sichtbar? Welche Rolle spielte die Lehre im Zusammenhang mit künstlerischer Produktion, aber auch mit den pädagogischen Leitbildern der Zeit? Wir gingen der Frage nach, ob es „gute“ und „böse“ Dinge geben kann, d.h., ob man der Form eines kunstgewerblichen Objekts oder einer Architektur ansieht, dass es einer „völkischen“ Ideologie entspricht, oder nicht. In dem Zusammenhang haben wir uns auch mit der Ikonographie des Nationalsozialismus befasst und uns die Produktion des damaligen Rektors der BURG, Hermann Schiebel, angesehen. Formen des „Wohnens“ wurden behandelt und Interieurs verglichen – wie sie in der „guten Stube“ (Ernst Bloch) des „Deutschen Hauses“ 1937 oder in der Weißenhofsiedlung 1927 ausgestellt waren. Was heißt hier „gemütlich“, „bodenständig“, „handwerklich“? Und schließlich ging es auch um Kontinuitäten und Brüche der Nachkriegszeit, darum, welche Neuausrichtungen und personellen wie ästhetischen Fortführungen die Kunsthochschule und die Kunst in Deutschland insgesamt prägten.
Das Seminar hat sich als Forschungsplattform verstanden. Wir Lehrenden hatten nur einen leichten Wissensvorsprung. Der erste Tag diente der gemeinsamen Orientierung und dem Herauslösen von Fragestellungen. An den folgenden Tagen haben wir uns vormittags anhand von Texten, Objekten und Bildmaterial den Schwerpunktthemen genähert, nachmittags blieb Zeit für eigene und vertiefende Recherchen. Für den frühen Abend waren externe Fachleute eingeladen, mit denen wir diskutierten: Dr. Renate Luckner-Bien, Dr. Katja Schneider, Prof. Dr. Olaf Peters, Dr. Bernhard Fulda und Prof. Frithjof Meinel.
Jetzt kommen die Studierenden zu Wort:
Was erschien retrospektiv relevant?
Was hat sich als leere Stelle herausgestellt?
Wie geht es weiter?
Das Blockseminar „Leere Stellen – Die BURG im Nationalsozialismus“ bot viele (wenn auch lückenhafte) Einblicke in die Geschichte unserer Kunsthochschule, ihre Lehre, ihre Struktur, ihre Erzeugnisse, ihre Außenwirkung.
Die komplette NS-Vergangenheit im Rahmen dieses Seminars aufzuarbeiten konnte natürlich nicht erfolgen, was auch nicht Ziel des Ganzen war. Vielmehr wurden verschiedene Aspekte thematisiert und entdeckt, welche es bei zukünftigen Recherchen zu beachten gibt und an welcher „Stelle“ exakter hingesehen bzw. tiefergehender nachgeforscht werden müsste. Hierbei wurde deutlich, dass bereits am ersten Tag der Veranstaltung mehr „leere Stellen“ entdeckt als gefüllt werden konnten. Somit ergaben sich einige Fragen, denen nachzugehen lohnenswert scheint, z.B.: Wie gestaltete sich die Zusammenarbeit/Beziehung zwischen Lehrenden und Lernenden an der BURG im NS? Fotografien von Lili Schultz mit ihren „Schülerinnen“ bei Vorbereitungen des Erntedankfestes zeigen ein enges, sehr vertrautes, beinahe familiäres Verhältnis und lassen schnell auf generell friedvolle und gemeinschaftliche Zusammenarbeit von Lehrenden und Lernenden an der BURG schließen. Doch wie steht dies im Verhältnis zu einer autoritär geführten Gesellschaft, welche sich klar in „Führer“ und „Volk“ gliedert, hierarchisch nach dem „Führerprinzip“ geordnet ist und widerstandslose Unterwerfung fordert? Unterliegt die BURG diesem Prinzip oder stellt sie auch in diesem Fall die vielgenannte „Insel“ dar, mit anderen Regeln, anderen zwischenmenschlichen Beziehungen und anderen Umgangsweisen? Welche Rolle spielte die BURG als „Meisterschule des Deutschen Handwerks“ in Hinblick auf die Durchsetzung und Verbreitung von NS-Propaganda und der NS-Ideologie?
Im Rahmen des Seminars konnten einige Kunstobjekte, Vasen und Dosen aus dem Hochschularchiv gesichtet werden, welche an der BURG zwischen 1933 und 1945 gefertigt wurden. Diese ließen jedoch kaum ideologische oder propagandistische Merkmale erkennen. Gegenstände, welche offensichtliche NS-Symbolik enthielten wurden wahrscheinlich nach 1945 vernichtet oder anderweitig verbannt. Auf verschiedenen Fotos konnten jedoch eindeutig nationalsozialistisch „geprägte“ Gegenstände identifiziert werden, welche an der BURG beispielsweise für offizielle Feierlichkeiten gefertigt wurden (Skulpturen, Schrifttafeln etc.). Welche Schuld kommt also der BURG zu und welchen Beitrag leistete sie zur Verbreitung und Aufrechterhaltung der NS-Ideologie? Was können ehemalige SchülerInnen der BURG bzw. deren Nachkommen berichten?
Im Seminar wurde zum Großteil die Rolle der Lehrenden besprochen und untersucht, deren Werdegang und ihre Stellung zu Kollegen oder zur NSDAP. Doch was können ihre SchülerInnen aus der Zeit berichten? Decken sich deren Beschreibungen mit dem Bild der „freien“ BURG, an welcher das Leben immer etwas lebensfroher und ungebundener scheint? Wie verliefen beispielsweise Aufnahmeprüfungen? Welche Voraussetzungen mussten von den SchülerInnen erfüllt werden und wie gestaltete sich ihr Leben nach 1945? Wie erlebten sie die Veränderungen der BURG um 1933 bzw. 1945 und darüber hinaus? Ein Nachgehen dieser Fragen könnte möglicherweise neue Einblicke (und weitere Fragen) in die Hochschulgeschichte geben.
Lukas Elbe
An fünf Seminartagen lernten wir sowohl das Wirken und Werden der Burg zwischen 1933-1945, als auch generelle Fragen rund um den Umgang mit Kunst aus dem Nationalsozialismus, sowie der damaligen Pädagogik und dem Design kennen. Schnell ist uns klar geworden, dass auch die Jahre davor und danach prägend für das Verständnis der BURG-Historie sind. Denn hier muss ebenfalls untersucht werden: Von wem wird Geschichte geschrieben und welcher Kanon, welche Mythen haben sich rund um die BURG entwickelt? Durch diverse Vorträge und Recherchen stellte sich heraus, dass es in der personellen Besetzung der Burg Kontinuitäten gab — Lehrpersonen, die vor, während und auch noch nach der NS-Zeit unterrichteten. Es lohnt sich, diese Einzelbiographien näher zu betrachten und auch kritisch zu hinterfragen. Oft heißt es in Erzählungen, Künstler*in XY habe sich mit der Ideologie der Nationalsozialisten nicht identifiziert, sondern sich dem Regime gebeugt, um das eigene Leben, die eigene Kunst zu retten.
In unserem Seminar umkreisten wir immer wieder in Diskussionen die Vertuschung in dieser Art der Erzählweise. Ist keine Haltung zeigen zu Zeiten des Nationalsozialismus nicht auch eine Haltung?
Daneben lernten wir Persönlichkeiten wie etwa den BURG-Direktor zu NS-Zeiten Hermann Schiebel kennen, dessen Geschichte komplett ausradiert zu sein scheint.
Ferner sprachen wir mit dem Kunsthistoriker Olaf Peters über den kuratorischen und kunstpädagogischen Umgang mit Kunst aus der NS-Zeit. Sollte ein historischer Kontext immer gegeben werden oder lassen wir das Werk für sich sprechen? Wie kann der Forschungsstand zur NS-Zeit kuratorisch umgesetzt werden ohne die NS-Ideologie zu nobilitieren oder marginalisierte Stimmen zu erdrücken?
Bei der Betrachtung von BURG-Objekten aus der NS-Zeit fiel uns auf, dass eine genuine NS-Ästhetik besonders bei Keramik- und Glasobjekten gar nicht so leicht zu benennen ist. Oft zeigt sie sich sehr subtil. Propaganda-Malereien lassen sich hingegen nach formalen Elementen offensichtlicher entlarven. Auch an dieser Stelle herrscht eine leere Stelle in der BURG-Forschung, denn viele Kunstobjekte von BURG-Lehrenden und Studierenden sind formal noch nicht hinreichend untersucht worden. Verändert sich ihre Ästhetik zu NS-Zeiten? Eine weitere Leerstelle zeigt sich in der Archiv- und Provenienzforschung. Zahlreiche Objekte sind deutschlandweit in Archiven verstreut. Auch eine korrekte Datierung ist selten gegeben.
Für die weitere Forschung halte ich im Rahmen unserer Möglichkeiten eine Art Cluster-Methode für sinnvoll: anhand einzelner Biographien, Arbeiten oder historischer Ereignisse könnte das Gesamtbild der BURG gezeichnet werden. So könnte für zukünftige Jahrgänge eine Ausgangslage geschaffen werden, die zwar weiterhin löchrig ist, aber Raum bietet, die leeren Stellen mit kollektivem Wissen anzufüllen.
Maren Schleimer
Das Seminar „Leere Stellen? – Die BURG im Nationalsozialismus" hat viele Themenbereiche der Kunstproduktion während und nach der NS-Herrschaft thematisiert. Was mir retrospektiv am meisten im Gedächtnis geblieben ist, ist die Menge an Kontinuitäten der personellen Besetzung im Feld der Kunst, sowohl an der BURG, als auch im deutschlandweiten Kulturbetrieb. Die Nachkriegszeit, wie Bernhard Fulda in seinem Vortrag anschaulich erläuterte, ist geprägt vom Schönfärben der eigenen Biografien und der polemischen Abgrenzung zum Nationalsozialismus. Das zeigt sich an prominenten Beispielen wie Emil Nolde, Karl Hofer und Helmut Schmidt, aber auch an der personellen Setzung der BURG nach 1945. Alle Dozierenden konnten ihre Anstellung behalten, bis auf den Direktor und zeitweisen Leiter der Moritzburg: Hermann Schiebel.
Diskurse der Abgrenzung zwischen „Deutscher Kunst“, „nationalsozialistischer Kunst“ und „Nachkriegskunst“ funktionierten eher durch Zuordnung von Begriffen, als dass sie analytisch klar voneinander zu trennen sind. So war es möglich, wie wir in Renate Luckner-Biens Vortrag erfuhren, dass Künstler wie Gustav Weidanz, Leiter der Bildhauerklasse an der BURG von 1916 bis 1956, der vor, während und nach dem NS-Regime seine Anstellung behalten konnte, nach dem Krieg zwei Mahnmale für Opfer des Faschismus in Apolda und Zerbst anfertigen durfte. Darüber hinaus hatte Weidanz, als ehemaliges NSDAP-Mitglied, sowie andere treue Nazikünstler der BURG, nach dem Krieg großen Erfolg in der sozialistischen DDR. Daher ergeben sich für mich Fragen nach der politischen Verflechtung von Kunst und ihrer gesellschaftlichen Relevanz: Woher kommt die privilegierte Rolle der Kunst im politischen System, wenn Entnazifizierungsverfahren gegen Künstler*innen eingestellt wurden (wie bei Weidanz) bzw. nie wirklich stattgefunden haben? Wie prägten ehemalige NS- Funktionäre unser Verständnis von Kunst nach dem Nationalsozialismus bis heute weiter? Welche ideologischen Veränderungen in der Lehre an der BURG gab es nach 1945? Wurde die BURG im Laufe der Geschichte eher zum politischen Handlanger, als ihre opportunistische Rolle als Kunsthochschule und Ort freien Denkens zu verteidigen?
Ein weiter wichtiger Punkt, der für mich mit dem Seminar einherging, ist die Kunstdefinition der Nationalsozialisten, die die nachträgliche Mythenbildung befeuerte. Der Kunstbegriff der Nazis war, entgegen dem historischen Konsens, sehr ambivalent und fand viele Anhänger im Expressionismus. Dies verdeutlicht auch die ehemals große expressionistische Sammlung der Moritzburg, die lang unter der Führung Alois Schardts stand, der die von Max Sauerland hochkarätige moderne Sammlung erweiterte. Erst im Verlauf der NS-Herrschaft wurde von einer kleinen Elite das einseitige Kunstverständnis durchgeboxt und die Sammlung der Moritzburg durch Hermann Schiebel aufgelöst. So ist faschistische Kunst nicht immer auf den ersten Blick erkennbar. Unser NS-Kunstverständnis von mächtigen Figuren-Ensembles und realistischen Gemälden überschattet die eigentliche Ambivalenz des Faschismus. Ich wünsche mir für die Forschung, dass dies stärker formuliert wird, damit hartnäckigen Mythen entgegengewirkt wird und die verdrehten Biografien von Künstler*innen und anderen Akteur*innen des Kunstbetriebes offen gelegt werden.
Ich wünsche mir eine intensivere Auseinandersetzung und öffentliche Thematisierung mit der eigenen Institutionsgeschichte, sowohl der BURG, als auch anderer Kulturinstitutionen wie beispielsweise der Moritzburg. Ähnlich wie in der Ausstellung „Die Liste der Gottbegnadeten“ im DHM kann ich mir eine Auseinandersetzung mit lokalen Persönlichkeiten der BURG und aus Halle vorstellen. Ich denke es ist wichtig, explizite Biografien und ihre Zusammenhänge genauer zu beleuchten, um ein Gefühl für die Dynamik an der BURG während und nach der Zeit des Nationalsozialismus zu bekommen. Eine Aufarbeitung in Form einer Ausstellung, einer Publikation oder eines Podcasts, wie es auch schon im Seminar angedacht wurde, kann ich mich sehr gut vorstellen.
Janika Jähnisch