Seit Jahrtausenden wird Glas von verschiedenen Kulturen handwerklich und ästhetisch geformt. Im Verlauf dieser Zeitspanne haben sich komplexe Techniken entwickelt, die ein traditionelles Farb- und Formverständis von Glas prägen. Im Alltag sind wir ständig von industriell hergestelltem Glas umgeben, sind permanent in physischem Kontakt, sei es in der Architektur, mit Gebrauchsgegenständen oder technologischen Geräten. Jedoch neigen wir gerade aufgrund seiner einzigartigen Eigenschaft - der Transparenz - dazu, es zu übersehen.
In der zeitgenössischen Kunst findet Glas als Bildträger, Skulptur oder Bestandteil von Installationen Verwendung. Künstler*innen wie Kerstin Brätsch, Laure Prouvost, Tony Cragg, Mona Hatoum, Kiki Smith, Anthea Hamilton oder das Kollektiv Pakui Hardware integrieren Glas in ihr Werk. Traditionelle Techniken treffen auf industrielle Verfahren, Ready-mades auf handgefertigte Einzelstücke. Glas interagiert mit verschiedenen Materialien und Medien, die unterschiedliche Haptiken, Bewegungen und Licht einbringen.
Glas scheint dualistische Eigenschaften zu vereinen, indem es Zerbrechlichkeit und Festigkeit verkörpert. Es kann fließend und weich wirken, aber auch Härte und gefährlich scharfe Kanten zeigen. Es kann als Fläche gestaltet oder durch Blasen, Gießen und die Kombination vieler Flächen zu dreidimensionalen Objekten geformt werden. Gleichzeitig vermittelt es zwischen Innen und Außen, Vorder- und Rückseite.
Als Material besitzt Glas nicht nur technisch einzigartige und vielseitige Eigenschaften, es trägt auch Inhalt und Deutungsmöglichkeiten in sich. Im komplexen Prozess seiner Herstellung und Bearbeitung wird das Material zum Medium. Verhält es sich nicht sogar oft so, dass Glas die Umstände seiner Entstehung protokolliert?
Im Seminar werden zeitgenössische Ansätze verschiedener Künstler*innen, die mit Glas arbeiten, vorgestellt und diskutiert. Dabei liegt ein besonderer Fokus auf dem Einfluss von Glas und seiner Bearbeitung auf den Inhalt der Kunstwerke. Neben den Künstler*innenporträts und der Werkanalyse werden auch die jeweiligen Verarbeitungstechniken und deren kulturelle Hintergründe vorgestellt. Im weiteren Verlauf des Seminars werden die Werke/Werkideen der Studierenden in die Diskussion einbezogen. Das Seminar will Glas als Schlüsselmaterial untersuchen indem es die folgenden Fragen stellt: Wie nah kommt die Künstler*in dem Einfluss der Formbarkeit? Welchen Anteil haben Kulturtechniken, Gruppenprozesse und Partner*innen die in die Herstellung eingebunden sind oder bei einem gemeinschaftlichen Werk interagieren? Wie prägen Entscheidungen über Material und Verarbeitungstradition, die oftmals noch mit festen Geschlechterrollen verknüpft werden, die inhaltliche Ausrichtung der Kunstwerke?
Dieses praktische Seminar im Wintersemester 2023/2024 bildet den ersten Teil einer aufeinanderfolgenden Reihe.